Mit Eichendorff und Kafka durchs Abitur
Prüfungsbeginn am Benedikt-Stattler-Gymnasium
Verschobene Prüfungstermine, lange Phasen der Ungewissheit, Unterricht nur noch in den Prüfungsfächern, Unkenrufe, der diesjährige Abiturjahrgang sei auf immer und ewig als Corona-Jahrgang gebrandmarkt – mit all dem und noch vielem mehr hatten die Abiturienten im Vorfeld ihrer Prüfungen zusätzlich zu kämpfen. Und trotzdem war eigentlich alles wie immer, als die Q12-Schüler des BSG am Mittwochmorgen den Prüfungsraum betraten und ihre vorab zugewiesenen Plätze einnahmen. Zwischen Anspannung und dem Stolz, sich nun beweisen zu können, changierten die Gefühle, kurz bevor man um Punkt 8.00 Uhr die Kladden, in denen das Deutsch-Abitur bereitlag, öffnen durfte. Jedem angeblichen „Ausnahme-Abiturienten“ ging es genauso wie den Prüflingsgenerationen vor ihm: An einem Einzeltisch sitzend, in gehörigem Abstand zum nächsten Mitstreitenden muss innerhalb von knapp fünfeinhalb Stunden eine von fünf zur Auswahl stehenden Aufgaben mit den in die letzten acht Jahren erworbenen Kompetenzen und Wissen gelöst werden.
Die drei klassischen Aufgabenvarianten, die Interpretation eines Gedichts, eines Dramenauszugs oder eines epischen Textes, greifen auch im Jahr 2020 überzeitliche Themen auf, die immer wieder eine literarische Verarbeitung erfahren. Egal ob der Romantiker Eichendorff Anfang des 19. Jahrhunderts über das Wagnis und den Prozess einer Entscheidungsfindung in metaphorischen Worten oder Kafka in seinem unvergleichlichen Schreibstil 100 Jahre später darüber nachsinnen, diese menschliche Problematik ist auch jedem der 71 Abiturienten des Benedikt-Stattler-Gymnasium weitere 100 Jahre später vertraut. Trotzdem müssen die Aussagen der Texte nicht nur nachvollzogen werden, sondern tiefgreifend hinsichtlich Inhalts, Sprache und Form interpretiert werden. Gleiches gilt für die weiteren Themen wie Treue bzw. Eifersucht in Schnitzlers Einakter „Die Frage des Schicksals“ oder die Ungewissheit und inneren Kämpfe eines Scheidungskindes aus Kehlmanns Roman „F“, das sich nach Jahren plötzlich mit der verwischten Gestalt seines Vaters konfrontiert sieht. Überraschungen gab es auch bei den beiden weiteren Aufgabenformaten nicht. Essayistisch bzw. erörternd konnten die Abiturienten sich mit Hilfe von Materialien mit sogenannten domänenspezifischen Themen (für das Fach Deutsch: Literatur, Sprache, Bildung, Kommunikation, Lesen, Medien usw.) auseinandersetzen. Die Fragen, mit welchen Herausforderungen einer Übersetzung literarischer Texte in eine vereinfachte Sprache verbunden sei oder ob ein Theaterbesuch heutzutage noch gewinnbringend sei, galt es zu diskutieren.
Nach knapp fünfeinhalb Stunden schlossen die Prüflinge die Kladden, in denen sich nun die vielen Seiten ihres Deutschabiturs befinden. Am kommenden Dienstag treten die BSGler zum Matheabi an, um sich dann am Freitag im dritten, frei wählbaren Fach zu beweisen. Nach den Pfingstferien starten die mündlichen Prüfungen. Jeder Schüler muss zwei Colloquien absolvieren. Erst dann ist die Prüfungsrunde beendet.
Auch wenn sich also Aufgabenformate, Anforderungen und Prüfungsabläufe nicht von denen in anderen Jahren unterscheiden, fehlt doch einiges, was eigentlich genauso zum Abitur gehört: Zum Beispiel das gemeinsame Feiern jeder bezwungenen Etappe im Prüfungsmarathon oder der humoristische Abischerz, mit dem man sich eigentlich von den jüngeren Mitschülern verabschiedet. Das haben die diesjährigen Abiturienten leider nicht. Was sie jedoch unbedingt haben, ist Respekt der gesamten Schulgemeinschaft für ihre Leistung, ihre Zuversicht und Ausdauer.