Trubel und Ruhe in Rom
23 Zwölftklässler begaben sich auf Studienfahrt in die Ewige Stadt
Oben auf dem Pincio, dem grünen Berg über Roms vielbevölkerten Straßen, ist Ruh. Ein wenig zumindest. Zwar singt ein junger Italiener amerikanische Songs mit seinem südlichen Englisch, zwar tummeln sich die Touristen in ihren Selfie-Trauben; zwar werden einem auf allzu hartnäckige Weise Rosen angeboten oder versuchen als Legionäre verkleidete Wegelagerer den Besuchern ein teures Foto mit sich aufs Auge zu drücken – aber dennoch ist das hier der stillste Ort der Stadt: Ein paar Meter weiter, drinnen in der Villa Borghese, kann man, sitzend auf einer nicht mehr ganz neuen Parkbank, inmitten von langen Schatten und Spätsommerlicht das bisschen Ruhe genießen, das einem die Millionenstadt übriglässt. Und wenn oben die Blätter der Platanen zu rauschen beginnen und sich die Pinien mediterran ins Blau erheben, dann hat man fast das Gefühl, alleine zu sein mit sich, abseits der riesenhaften Metropole dort unten.
In der Regel hatten es die 23 Schüler des BSG mit ihren beiden begleitenden Lehrkräften aber nicht ganz so geruhsam während der fünf Tage ihrer Studienfahrt. Forum und Kolosseum waren von Touristen, wie es sich gehört, üppig frequentiert, am Trevi-Brunnen war ein Sitzen am Rand nur mit Durchsetzungskraft möglich, und auch auf den bekannten Plätzen – der Piazza Navona, dem Campo de‘ Fiori, der Piazza Venezia – herrschte der übliche Trubel. Gleiches gilt für die vollen Busse und die Metro, wobei im Vorfeld der Fahrt vor dem Gedränge ausdrücklich gewarnt worden war – nicht dass ein Bad Kötztinger plötzlich ohne seinen Geldbeutel dastand. So ein Großstadtleben will eben gelernt sein, mit all seinem Licht und Schatten: den unermesslichen kulinarischen Angeboten und Shoppingmöglichkeiten (nicht umsonst kommt das deutsche Wort kaufen vom lateinischen caupona, das so viel wie Wirtshaus, Spelunke bedeutet), den vielen Orten der Kunst und Geschichte, dem italienischen Flair und den modisch gekleideten Menschen – und den Bettlern und Bedürftigen, die teils still, teils demonstrativ vor sich hin litten an einer Straßenecke und dort den ganzen Tag auf das Geld eines Gutmütigen hofften. Ein unfassbarer Moloch ist so eine Großstadt, man kann es nicht leugnen, so viele Menschen, Fortbewegungsmittel, Geschäfte und Gässchen, dass man schon die Übersicht verlieren konnte im Gewühl oder gar die Plätze verwechseln. Selbst dort, wo Besinnung herrschen sollte, im Vatikan und Petersdom, waren derart viele Besucher, dass für den Geschmack manch eines Reisenden umso weniger Andacht vorzufinden war am wichtigsten Ort der Christenheit. Wenn man bedenkt, dass es schon seit Jahrhunderten so ist hier in Rom, zu Augustus‘ Tagen wie zur Zeit der mittelalterlichen Pilgerfahrten und der barocken Prachtentfaltung, dann wird klar, warum die Stadt die Ewige Stadt heißt. Und abends, wenn sich die warme italienische Nacht über die Piazza Navona oder die Straßen von Trastevere legt und das Leben mit seinen Lichtern, Klängen und Düften noch einmal pulsiert, dann ahnt man, dass es morgen und übermorgen wieder genauso sein wird, in dieser Urbs aeterna. Teil davon sein zu dürfen war schon etwas Besonderes – sich mit der Metro und zu Fuß hindurchzubewegen durch die città, als wäre man einer von den Hiesigen, sorgte bei den Schülern für ein Gefühl des Erwachsenseins und der Freiheit – auch wenn man ein wenig ans Handy gekettet war und alles Fotographierenswerte wirklich auch festhalten und teilen musste, aber so ist sie eben, die moderne Zeit, selbst in solch einer uralten Stadt. Und dann noch unverhoffterweise einen Bekannten aus Bad Kötzting zu treffen, mitten in der Lateranbasilika – wer es war, wird nicht verraten – ist etwas, was eigentlich nur in Rom, wohin bekanntlich alle Wege führen, so richtig eindrucksvoll passieren kann.
Man musste schon hinausfahren nach Ostia, dem antiken Hafen, um wieder ein wenig das Gefühl zu haben, dass Stille auch in dieser Stadt möglich ist; die Ruhe, die die Ruinen und Pinien ausstrahlen, hätte den berühmten Romreisenden Goethe vielleicht zu einem Gedicht bewegt, uns aber zu der Einsicht, dass alles Menschliche vorübergehend ist – heute noch die vielbevölkerte Hafenstadt mit emsiger Geschäftigkeit, morgen schon ein verlassener Ort, an dem Touristen nach den berühmten Mosaiken suchen oder den Tönen der Grillen lauschen. Bei solch gedankenvollen Minuten zwischen den Mauerresten drängte sich manchem im sanften Meereswind schon die Frage auf, ob es unserer Zivilisation nicht einmal so ähnlich ergehen wird.